Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (United Nations Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) hat die Taliban* aufgefordert, den Internet- und Telekommunikationszugang im gesamten Land unverzüglich und vollständig wiederherzustellen. Dies berichtete der Pressedienst von UNAMA.
Nach Angaben der UN-Mission kam es seit dem 16. September in Teilen Afghanistans zu massiven Störungen beim Internet- und Mobilfunkzugang. Am 29. September wurde die Verbindung im ganzen Land, einschließlich der Hauptstadt Kabul, ohne vorherige Ankündigung abgeschaltet. Dies führte zu einer nahezu vollständigen Isolation Afghanistans von der Außenwelt.
Die UN-Mission betonte, dass die Ausfälle eine Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität des Landes darstellen, das bereits seit langem von einer der schwersten humanitären Krisen der Welt betroffen ist.
Zu den schwerwiegendsten Folgen des Internetausfalls gehören Störungen im Bank- und Finanzsystem, eingeschränkter Zugang zu Notfallmedizin, Ausfälle im Luftverkehr sowie Verzögerungen bei Geldüberweisungen für Familien, die von diesen Mitteln abhängig sind. Besonders hervorgehoben wurde, dass die Abschaltung die Isolation von Frauen und Mädchen verschärft und zusätzliche Beschränkungen für Meinungsfreiheit und Informationszugang mit sich bringt.
UNAMA erinnerte daran, dass Telekommunikationssysteme in Katastrophensituationen lebenswichtig sind, da sie Frühwarnungen und Koordination von Hilfe ermöglichen. Dies sei besonders relevant angesichts der jüngsten schweren Erdbeben im Osten Afghanistans sowie der groß angelegten Rückkehr von Flüchtlingen aus Nachbarstaaten.
Die UN-Mission unterstrich, dass solche Einschränkungen nicht nur grundlegende Menschenrechte und Freiheiten verletzen, sondern auch unmittelbar das Leben der Bürger gefährden, insbesondere in kritischen Situationen. Im Einklang mit dem Mandat des UN-Sicherheitsrats setze die Mission ihre Kontakte zu den afghanischen Behörden fort, um der Bevölkerung größtmögliche Unterstützung zu leisten.
Auch andere internationale Organisationen reagierten auf die Lage. So erklärte Human Rights Watch, dass die Einschränkung des Zugangs zum Internet grundlegende Rechte der Afghanen bedrohe, da sie ihnen Bildung, Gesundheitsversorgung, Handel und Informationszugang nehme. Besonders betroffen seien Mädchen und Frauen, für die Online-Unterricht oft die einzige Möglichkeit sei, Bildung zu erhalten, und Online-Arbeit oft die einzige Einkommensquelle.
„Die Abschaltung des Internets ist ein weiterer Versuch der Taliban, die im Rahmen ihres grausamen Systems der Geschlechter-Apartheid handeln, afghanische Frauen und Mädchen vom Rest der Welt abzuschneiden“, erklärte die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, Mitbegründerin der Malala Fund. „Ohne verlässlichen Internetzugang können sie ihre Kurse nicht besuchen oder mit Mitschülern und Lehrern kommunizieren. Das darf nicht zugelassen werden. Regierungen [anderer Staaten] müssen sofort maximalen Druck auf die Taliban ausüben, damit sie den Internetzugang und die grundlegenden Rechte afghanischer Mädchen und Frauen, insbesondere ihr Recht auf Bildung, wiederherstellen.“
▶️ Nach Angaben afghanischer Medien wurde das Internet per mündlicher Anweisung des obersten Taliban-Führers Hibatullah Achundsada abgeschaltet. Afghanische Telekommunikationsunternehmen bestätigten, dass die landesweite Abschaltung auf direkten Befehl der obersten Führung des Landes erfolgte.
Das Fehlen von Internet- und Telefonverbindungen im gesamten Afghanistan wirkte sich sofort auf die Arbeit staatlicher und kommerzieller Einrichtungen aus. Die Bevölkerung verlor den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und die Verbindung zur Außenwelt. Afghanen im Ausland konnten ihren Familien keine Geldüberweisungen mehr schicken. Bürger, die sich zur Behandlung ins Ausland begeben wollten, mussten Krankenhausaufenthalte und Operationen verschieben, da sie die Dienstleistungen afghanischer Banken nicht nutzen und medizinische Leistungen nicht bezahlen konnten.
Die meisten Fernsehsender stellten ihren Betrieb ein. Am Flughafen Kabul wurden am 30. September alle Flüge gestrichen. Erst am 1. Oktober kündigte die Fluggesellschaft Kam Air an, bestimmte Verbindungen wieder aufnehmen zu wollen, wobei Passagierdaten manuell verarbeitet würden.
Laut Zawia News versuchen Bewohner der Grenzprovinzen Afghanistans, über Nachbarstaaten Zugang zum Internet zu erhalten. So nutzen im Gebiet Spin-Boldak (Provinz Kandahar), nahe der Durand-Linie, Dutzende Menschen pakistanisches Internet, um mit Angehörigen Kontakt aufzunehmen und Nachrichten zu verschicken. Ein Einwohner reiste sogar eigens aus Kandahar dorthin, um seinem in Europa lebenden Bruder über WhatsApp den Gesundheitszustand der kranken Mutter mitzuteilen, da dies der einzige Weg war, den Kontakt zur Familie aufrechtzuerhalten.
*Die Organisation ist in einer Reihe von Ländern als Terrororganisation eingestuft und verboten.



